R., verheiratet, 67 Jahre alt

Malerin

 

Seit 30 Jahren beschäftige ich mich mit Malerei.

Mein Hauptaugenmerk ist Portrait und Figur. Neben der Malerei ist meine Partnerschaft das Wichtigste in meinem Leben.

 

Ich bin südlich von Hamburg auf dem Dorf geboren. Später sind wir nach Hamburg gezogen, wo ich fast mein ganzes Leben verbracht habe. An meine Kindheit habe ich keine genauen Erinnerungen mehr.

 

Ich habe die Hauptschule absolviert, eine Ausbildung zur Arzthelferin

gemacht, eine Masseur/innen-Schule besucht und musste dann im Betrieb des Vaters arbeiten. Mein Bruder und ich haben die Praxis nach ein paar Jahren übernommen. Es war eine schlimme Zeit! Ich mochte es nicht, dort zu arbeiten, wollte anderes.

 

Ich habe neue Leute kennengelernt, bildende Künstler, Musiker,

Germanisten, dachte das könnte ich doch auch machen. Es war so lebendig und anregend.

 

In dieser Zeit habe ich aus Langeweile angefangen meine Mutter zu zeichnen, später auch den Vater. Ich wusste nichts von Kunst. Ich bin wie Kasper Hauser groß geworden. Nach vielen Mühen und sehr viel Gegenwind habe ich die Praxis mit 24 Jahren verlassen und dann meine mittlere Reife und das Abitur nachgeholt.

 

 

 Ich war 30 Jahre alt, als ich in der Armgartstraße drei Jahre Illustration studierte. Danach weitere drei Jahre an der Freien internationalen Universität in Altona Bildhauerei.

 

Der Beruf als Masseurin hat mich mein Leben lang ernährt,

versorgt und abgesichert.

 

Den Kontakt zu meiner Familie habe ich über Jahre abgebrochen,

denn sie waren bildungsfeindlich. Meine Familie nannte mich Möchtegern-Intellektuelle.

 

Ich habe mich freigeschwommen!

Als ich studierte, habe ich sehr viel gearbeitet. Früh am Morgen

bei der Post, am Tag studiert und am Abend als Masseurin. Es war eine tolle Zeit. Ich habe nette Frauen kennengelernt und parallel gut meine Kunst verkauft. Später habe ich halbtags gemalt und halbtags als Masseurin gearbeitet. Die Kunst hat mich mein Leben lang begleitet.

 

Bis heute habe ich immer wieder verschiedene Künstler studiert

und so über die Jahre immer mehr zu mir selbst gefunden... eine lange Reise.

 

Mit 64 Jahren habe ich begonnen, Frank Auerbach zu studieren.

Sein temperamentvolles Arbeiten hat mir Aufschwung gegeben. Ich bin bei mir angekommen, habe meinen Platz in der Kunst gefunden. Ich weiß nicht ob das Kunst ist, aber es ist das, was ich denke!


TRAGEN

MALEN I Acryl 100 x 200 cm I 2022 I ANDREA LISKE
MALEN  I Farbe und Geste I 2022 I Acryl 70 x 100 cm & Keramik 40 cm I ANDREA LISKE

MALEN I Acryl 100 x 200 cm I 2022

 

MALEN  I Farbe und Geste I 2022

Acryl 70 x 100 cm & Keramik 40 cm

Was ist wichtig in deinem Leben?

Meine Kunst und meine Partnerschaft. Mit 55 Jahren habe ich meine späte Liebe getroffen und im Dezember letzten Jahres geheiratet.

Und natürlich auch Freunde, die Natur, alles was mich umgibt,

das Schöne, aber auch das Hässliche!

 

Was macht dich als Person aus?

Das ich Malerin bin.

Beim Malen brauche ich einen sehr starken, intensiven Kontakt zum Modell. In Form von Sprache und Nähe. Ich brauche sie, um ein realistisches Bild des Modells zu schaffen. Eine Privat-Performance, die Person muss sich mir erschließen.

Es muss nicht das realistische Abbild sein, das entsteht, nicht

zeichnerisch realistisch, sondern das, was dahintersteckt. Das kann vielleicht einfach nur ein Strich sein, der zum Beispiel das Gesicht ausmacht. Vielleicht ist das Auge der Schwerpunkt, auch wenn es gar nicht gezeichnet ist, nur Farbe, aber die ist das Wesentliche! Das Wesentliche ist das Realistische, nicht die äußere Hülle.

Ich sehe mich als Realistin in diesem Sinne.

Ich habe immer wieder den Wunsch nach echten Begegnung

auch mit Menschen in Ausnahmesituationen. Unser Freund A.

aus Syrien zum Beispiel, den durfte ich malen, auch in seiner

Not und seinem Trauma.

Diese wahrhaftigen, intensiven Begegnungen, erzeugen viele starke Empfindungen. Das sind meine Impulse zum malen. Ich suche die intensive Begegnung, aber auch das Einsamsein. Allein in Kontakt mit Mensch und Bild. Dann entwickelt sich die ästhetische Bildsprache, ob ich die ganze Figur erfasse oder nur den Kopf. Und das

herauszufiltern und sich entwickeln zu lassen, ist meine Arbeit als Künstlerin.

 

Was macht dich glücklich?

Ein gutes Bild! (lacht)

Und wenn ich meine Freundin zum Lachen bringen kann. Wenn ich andere zum Lachen bringe, dann bin ich überglücklich, ich habe es nicht oft gehört, dass ich andere glücklich mache.

 

Was ist unverzeihlich für dich?

Schlechte Pädagogen, die einen nicht sehen...überhebliche Menschen, da werde ich still und stumm oder übertreibe extrem.

Da verweigere ich mich oder muss gehen.

 

Was bedeutet Frau sein für dich?

Frau sein war früher sehr einfach in meinem Leben, einfach umrissen, attraktiv sein zum Beispiel. Mit den Jahren wurde es dann immer differenzierter, in Bezug auf sich selber zu spüren, sich zu finden.

Ich hatte am Anfang und auch im Laufe meines Lebens immer wieder das Gefühl neben mir zu stehen, nie das Gefühl in mir zu Hause zu sein, das hat sich geändert.

Ich wollte früher immer weg von meinem Vater zum Beispiel, aber warum eigentlich, das habe ich mich gar nicht gefragt. Es war eher ein Reflex. Wenn es unerträglich war, wollte ich einfach weg. Später habe ich bewusst, immer mehr selbst gehandelt, am Leben gedreht, gemerkt das ich dem Leben nicht einfach so ausgesetzt bin.

Bei anderen Frauen, ich sehe das gerade bei homoerotischen

Beziehungen, gleitet die Frau so ins Männliche ab. Optisch, im

Sport usw.

Ich möchte, dass sowohl ästhetisch als auch inhaltlich die

Frau spricht.

 

Wie stehst du zur Emanzipation?

Diesen Begriff empfinde ich als abgedroschen, keine wirkliche Frage mehr. Für mich stellt sich hier eher die Frage: Wo stehe ich? Und wer bin ich? Wenn diese Frage geklärt ist, ist das Emanzipation.

 

Was bedeutet Gesellschaft für dich?

Politik und Gesellschaft ist für mich ein wichtiges Thema. Unsere

reiche, demokratisch regierte Gesellschaft hat als Quintessenz etwas Wunderbares hervorgebracht. Wir können in Ruhe leben, die Natur betrachten, sie ist zwar im Begriff sich zu verabschieden, aber noch schön.

Wir haben die größtmögliche Freiheit, können fast alles sagen und machen. Es ist bedingt alles gut. Das Problem unserer Gesellschaft ist meines Erachtens, dass wir unter anderem nicht verzichten können und wollen, zum Beispiel in Bezug auf Konsum.

 

Was macht für dich Kultur aus?

Kultur hat eine ganz wichtige Bedeutung! Mich tröstet ein gutes Buch, Musik hilft mir über schlechte Zeiten hinweg. In der Melancholie haben die Wagner Ouvertüren mir geholfen überhaupt aufzustehen. Ohne Kultur könnte ich nicht sein. Es wäre mir zu trivial das Leben. Ich brauche das Buch, das Bild, die Musik.

 

Welche Werte sind wichtig für dich?

Freiheit ist mir wichtig, Unabhängigkeit, Eigenständigkeit, Kreativität, freier Journalismus ohne Zensur. Naturerhalten ist mir auch wichtig, es ist der Grundstock von allem!

 

Hat Care-Arbeit für dich eine Bedeutung?

Eine Zeitlang haben wir uns intensiv um A. aus Syrien gekümmert,

aber sonst ist das wenig Thema. Meine Eltern sind gestorben und von meiner Frau die Familie lebt in Schottland.

 

Was ist deine Farbe?

Meine Farben sind auf jeden Fall Gelb und dann mit Orange und Rot. Die passen am besten zu mir.

 

Was ist deine Geste?

Meine Geste ist das Malen.